Im Fenster

Fensterscheiben dienen dem Menschen in erster Linie dazu, Licht hindurchzulassen, Helligkeit in dunkle Räume zu transportieren oder Ausblicke aus dem umbauten Raum in die Umgebung zu ermöglichen. Gleichzeitig reflektieren diese Flächen Licht und spiegeln so die Umgebung wider. In seinem ­fotografischen Projekt zu Buswartehäuschen im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns dokumentierte Franz Riegel zwischen 2008 und 2018 zunächst die Bauten selbst in der Landschaft, ihre Innenräume sowie die Ausblicke aus den oft verfallenen und aufgegebenen Bauwerken auf die umgebende Landschaft. Die entstanden Bilder lassen sich als Metaphern gesellschaftlicher Umbrüche lesen. Dort, wo in den Architekturen des Wartens transparente Materialien wie Glas- oder Kunststoffscheiben eingesetzt wurden, entstanden dabei vielschichtige fotografische Bilder, weil sich hier Durchblicke und Spiegelungen überlagern, die von menschengemachten Hinterlassenschaften auf den Scheiben, wie ­Ätzungen, Graffitti oder Ablagerungen von Schadstoffen in der Luft, durchsetzt sind.
Spiegelungen auf Glasscheiben sind weniger flüchtig als die auf Wasser, aber weniger authentisch als solche auf ebenen Spiegelflächen. Bewegungen und Reflexe entstehen etwa durch den Positionswechsel des Fotografen, Bewegungen der sich spiegelnden Elemente selbst oder durch Spiegelungen von Spiegelungen. Je nach Beschaffenheit des Materials sind Fensterflächen glatt oder leicht gewellt, sind mit Schmutz behaftet, beschichtet oder weisen Sprünge und andere Zerstörungen auf. Je nach Lichteinfall und Beschaffenheit des Glases werden neue Bilder erzeugt, die ähnlich wie bei den Bildern bewegter Wasser, sich immer weiter vom gespiegelten Abbild der Welt entfernen. Dabei entstehen sowohl abstrakte gegenstandslose Bilder als auch komplexe phantastisch-mystische, oft dystopisch anmutende Welten. Manchmal steht das Fenster selbst mit seinen Scherben, manchmal das durch die Spiegelungen gewandelte Bild der Umgebung des Fensters im Vordergrund. Meist verschmelzen beide Aspekte.

In der fotografischen Serie „7 more Views“ sind die Spiegelung des natürlichen Himmels selbst und die Sprünge in der reflektierenden Fensterscheibe zu einer Einheit verschmolzen, mit der Franz Riegel eine eigene, eine neue Geschichte erzählt.